Erstes Paket Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP)

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates hat einen Vorentwurf in die Vernehmlassung geschickt, welcher die staatliche Festsetzung der von der OKP zu übernehmenden Preise für medizinische Produkte auf der Mittel und Gegenständeliste (MiGeL) ablösenmöchte. Neu sollen Preise zwischen den Versicherern und den Lieferanten verhandelt werden, wobei beide Seiten ihre Vertragspartner frei wählen können. Die Groupe Mutuel unterstützt den Vorentwurf in seinen Grundzügen, mit welchem der Markt auch für neue Anbieter und Vertriebsmodelle geöffnet würde, was wohl eine Senkung der Produktekosten mit sich bringen würde. Weitere Informationen finden Sie in unserer Antwort auf diese Vernehmlassung (auf Französisch).

Veröffentlichungsdatum: November 2018

Das medizinisch nicht erklärbare Kostenwachstum in der OKP soll mit einem Kostendämpfungsprogramm gebremst werden. Der Bundesrat hat das Eidgenössische Department des Innern (EDI) beauftragt, die Massnahmen dazu in zwei Paketen zu prüfen und umzusetzen. Ein erstes Massnahmenpaket liegt nun auf dem Tisch und befindet sich in der Vernehmlassung. Die meisten der vom EDI vorgeschlagenen Massnahmen haben grosses Potenzial und werden daher von der Groupe Mutuel unterstützt.
Der Groupe Mutuel ist die Dämpfung des Kostenwachstums im Gesundheitswesen ein grosses Anliegen und sie ist selbstverständlich bereit, ihren Teil der Verantwortung wahrzunehmen.

Ausgangslage

Die Zunahme der Kosten im Gesundheitsbereich ist die grösste Herausforderung im ansonsten erstklassigen Schweizer Gesundheitswesen. Neben der demografischen Entwicklung und dem medizinischen Fortschritt sind auch falsche Anreize im System der Grund für die jährlich steigenden Kosten.
Um diese zu beheben, hat der Bundesrat im März 2018 ein Kostendämpfungsprogramm mit zwei Paketen von Massnahmen beschlossen – dies basierend auf einem internationalen Expertenbericht1 , der im August 2017 im Auftrag des Bundesrates veröffentlicht wurde. Das erste Paket wurde nun vom EDI ausgearbeitet und befindet sich bis Mitte Dezember 2018 in der Vernehmlassung.
Die meisten der darin vorgeschlagenen Massnahmen stammen aus dem Expertenbericht,
wurden jedoch mit zusätzlichen Vorschlägen aus dem EDI ergänzt.

Die vorgeschlagenen Massnahmen

  • Experimentierartikel
  • Nationale Tariforganisation
  • Tarifstruktur aktuell halten
  • Pauschalen im ambulanten Bereich fördern
  • Massnahmen der Tarifpartner zur Steuerung der Kosten
  • Referenzpreissystem bei Arzneimitteln
  • Rechnungskopie für Versicherte
  • Rechnungskontrolle stärken
  • Beschwerderecht Versicherer betreffend Beschlüsse der Kantonsregierungen zur Planung und Liste der Spitäler, Geburtshäuser und Pflegeheime

Inhalt der einzelnen Massnahmen (M) mit Position der Groupe Mutuel

1. Experimentierartikel

M02 des Expertenberichtes: Einführung eines Experimentierartikels, welcher innovative und kostendämpfende Projekte ausserhalb des „normalen“ Rahmens des KVG ermöglicht.

Position der Groupe Mutuel: Bereits heute haben die Akteure einen grossen Spielraum für Pilotversuche. Dennoch könnte die Einführung eines solchen Experimentierartikels durchaus als Katalysator weitere interessante Projekte anstossen. Um drohende Risiken einzudämmen, müssen dafür jedoch folgende Rahmenbedingungen sichergestellt sein:

  • Kosteneinsparungen als plausibilisiertes Ziel
  • Reversibilität
  • Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit
  • Erhalt der Leistungsgarantie und des
  • Solidaritätsprinzips für alle Versicherten
  • Befristung des Pilotversuches
  • wissenschaftliche Begleitung
  • eingereicht von mindestens zwei Partnern

2. Nationale Tariforganisation

M34 des Expertenberichtes: Schaffung einer Tariforganisation im ambulanten Bereich, die für die Erarbeitung und Weiterentwicklung sowie die Anpassung und Pflege der ambulanten Tarifstrukturen zuständig ist.

Position der Groupe Mutuel: Die Tarifverhandlungen sind eine zentrale Aufgabe der Versicherer, welche sich im Interesse der Prämienzahler für tiefere Preise einsetzen. Dennoch könnte die Massnahme mit folgenden Bedingungen unterstützt werden:

  • Die Entscheidungsprozesse sind so auszugestalten, dass es keine Minorisierung relevanter Tarifpartner gibt.
  • Tarifstrukturen sollen weiterhin von den Tarifpartnern eingegeben werden und nicht vom Tarifbüro.
  • Das Tarifbüro muss eigenständig Kosten- und Leistungsdaten erheben können und diese müssen für die Akteure transparent sein.
  • Das Tarifbüro soll sich auf ambulante ärztliche Leistungen, also auf den Tarmed fokussieren.
  • Die Organisation sollte sich am Modell der SwissDRG AG orientieren.

3. Tarifstruktur aktuell halten

M25 des Expertenberichtes: Pflicht der Leistungserbringer und Versicherer, dem Bundesrat diejenigen Daten kostenlos bekanntzugeben, die für die Festlegung, Anpassung und Genehmigung der Tarife und Preise notwendig sind inkl. Sanktionsmöglichkeiten.

Position der Groupe Mutuel: Die Massnahme wird nur unterstützt, wenn die Tarifpartner ihre Autonomie wahren können. Der Eingriff des Staates muss zwingend subsidiär bleiben. Die Datenlieferung sollte bei den Versicherern grundsätzlich über die Verbände laufen. Sofern gemäss obiger Massnahme ein Tarifbüro eingeführt wird, muss dieses ohnehin über alle Daten verfügen. Diese sollen somit nicht von den Tarifpartnern, sondern im Falle von gescheiterten Verhandlungen direkt durch das Tarifbüro zur Verfügung gestellt werden.

4. Pauschalen im ambulanten Bereich fördern

M15 des Expertenberichtes: Auf ambulante Behandlungen bezogene Patientenpauschaltarife müssen gleich wie Einzelleistungstarife auf einer gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstruktur beruhen. Die subsidiären Kompetenzen des Bundesrates zur Anpassung und Festlegung von Einzelleistungstarifstrukturen werden auf Tarifstrukturen für Patientenpauschaltarife ausgeweitet.

Position der Groupe Mutuel: Die heutige Tarifierung nach Einzelleistung im ambulanten Bereich setzt falsche Anreize, mehr Leistungen als nötig anzubieten und abzurechnen. Mit einem pauschalierten Tarifsystem, wie es heute bereits im stationären Bereich mit SwissDRG der Fall ist, können diese Anreize reduziert werden. santésuisse hat diesbezüglich bereits begonnen, in Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern solche Pauschalen zu entwickeln. Eine Förderung dieser Arbeit ist somit klar zu befürworten.

Dabei müssen die Pauschalen nicht zwingend schweizweit einheitlich definiert werden, sondern unter den Tarifpartnern bilateral vereinbart werden dürfen. Sie müssen jedoch auf einer schweizweit genehmigten Tarifstruktur beruhen und sollen auch andere Komponenten (Medikamente, Implantate oder Verbrauchsmaterial) umfassen können. Auf jedem Fall müssen die Pauschalen die WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit) respektieren.

5. Massnahmen der Tarifpartner zur Steuerung der Kosten

Vorschlag des EDI: Leistungserbringer und Versicherer sehen in gesamtschweizerisch geltenden Verträgen Massnahmen zur Steuerung der Kosten vor. Die Verträge sind dem Bundesrat zur Genehmigung zu unterbreiten und bei Nichteinigung legt der Bundesrat die Massnahmen fest.

Position der Groupe Mutuel: Die Problematik der steigenden Gesundheitskosten ist ja nicht in erster Linie auf steigende Preise, sondern unter anderem auf steigende Mengen von Leistungen zurückzuführen. Entsprechend macht es Sinn, wenn die Tarifpartner bei ihren Verhandlungen die Preise an die Mengenentwicklung koppeln und entsprechende Massnahmen in ihre Verträge einbauen. Im Gegensatz zu einem staatlich verordneten Globalbudget bietet diese Massnahme den Tarifpartnern die Möglichkeit, die Kostenentwicklung in ihrer Verantwortung, tarifpartnerschaftlich selber anzugehen.

6. Referenzpreissystem bei Arzneimitteln

M22 des Expertenberichtes: Für Arzneimittel mit gleicher Wirkstoffzusammensetzung soll ein maximaler Preis (Referenzpreis) festgelegt werden. Nur dieser Referenzpreis wird von der OKP vergütet. Damit die versicherten Personen nicht übermässig belastet werden, wird ein Höchstpreis festgelegt, den die Leistungserbringer höchstens in Rechnung stellen dürfen.

Position der Groupe Mutuel: Dieses Instrument bietet einen guten Anreiz, die Verwendung von Generika zu fördern und deren Preise wirtschaftlicher zu gestalten. Das Einsparpotenzial in diesem Bereich ist gross und die Generikadurchdringung in der Schweiz im internationalen Vergleich gering. Mit der Zunahme des Wettbewerbes werden die von der OKP zu tragenden Kosten gedämpft.

7. Rechnungskopie für Versicherte

Vorschlag des EDI: Zwingende Rechnungskopie des Leistungserbringers für die versicherten Personen inkl. Sanktionsmöglichkeiten.

Position der Groupe Mutuel: Die versicherten Personen spielen eine wichtige Rolle bei der Rechnungsprüfung, denn sie kennen die effektiv erbrachte Leistung am besten. Damit sie diese Kontrolle wahrnehmen können, ist es entscheidend, dass sie in jedem Fall eine Rechnung resp. eine Kopie davon erhalten. Die konsequente Zustellung der Rechnungskopie ist ausserdem wichtig, um bei den Patienten das Bewusstsein über die mit den beanspruchten Leistungen verbundenen Kosten zu stärken. In diesem Sinne ist die vom EDI vorgeschlagene Präzisierung der eigentlich bereits heute geltenden gesetzlichen Vorgabe sehr zu unterstützen.

8. Rechnungskontrolle stärken

M09 des Expertenberichtes: Das EDI/BAG will die Aufsicht der Versicherer im Bereich Leistungskontrollen und Rechnungsprüfungen verstärken und vermehrt Audits vor Ort durchführen. Dazu sind keine gesetzlichen Anpassungen nötig. Sollte dies nicht den erwünschten Effekt erzielen, so würde in einem nächsten Schritt die Schaffung einer unabhängigen Rechnungskontrollbehörde anvisiert werden (M35 des Expertenberichtes).

Position der Groupe Mutuel: Eine wirkungsvolle Rechnungskontrolle ist ein zentrales Element des Wettbewerbs zwischen den Krankenversicherern, welche genau darum auch einen grossen Anreiz haben, die Rechnungskontrolle konsequent durchzuführen. Verbesserungen in diesem Bereich liegen somit im ureigenen Interesse der Versicherer.

Die Schaffung einer zentralen Rechnungskontrollbehörde, die als spätere Massnahme angedroht wird, lehnen die Versicherer hingegen klar ab, da dies eine Hauptaufgabe der Versicherer und ein zentrales Wettbewerbselement derselben darstellt.

9. Beschwerderecht für Versicherer betreffend Beschlüsse der Kantonsregierungen zur Planung und Liste der Spitäler, Geburtshäuser und Pflegeheime

Vorschlag des EDI: Das Beschwerderecht gegen Beschlüsse der Kantonsregierungen zur Spital- und Pflegeheimplanung wird erweitert auf Organisationen der Versicherer von nationaler oder regionaler Bedeutung, die sich gemäss ihren Statuten dem Schutz der Interessen ihrer Mitglieder im Rahmen des KVG widmen.

Position der Groupe Mutuel: Diese Massnahme entspricht einer langjährigen Forderung der Krankenversicherer. Als Anwälte ihrer Versicherten sind diese stark an der Anzahl und Qualität der zugelassenen Anbieter interessiert, was sich direkt auf die OKPPrämien auswirkt. Im Rahmen der Diskussion über die Einführung einer einheitlichen Finanzierung fordern die Kantone im Gegenzug für eine Mitfinanzierung Steuerungsmöglichkeiten im ambulanten Bereich. Mit demselben Argument hätten die Versicherer schon lange bei der Steuerung des stationären Bereiches einbezogen werden müssen.

Fazit

Die Groupe Mutuel unterstützt alle vom EDI im Rahmen des ersten Massnahmenpakets vorgeschlagenen Massnahmen, teilweise verbunden mit klaren Forderungen, zwingend notwendigen Rahmenbedingungen oder Kriterien.

Besonders unterstützenswert sind dabei folgende Massnahmen:

  • Pauschalen im ambulanten Bereich fördern
  • Rechnungskopie für Versicherte
  • Beschwerderecht für Versicherer betreffend Beschlüssen der Kantonsregierungen zur Planung von Listen der Spitäler, Geburtshäuser und Pflegeheime
  • Referenzpreissystem bei Arzneimitteln
  • Massnahmen der Tarifpartner zur Steuerung der Kosten

Heikler und genau zu beobachten sind:

  • Nationale Tariforganisation
  • Rechnungskontrolle stärken
  • Experimentierartikel
  • Tarifstruktur aktuell halten
Groupe Mutuel

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