Ist «New Work» Segen oder Fluch?
24. April 2025 | Kommentar(e) |
Lisa Flückiger

Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice und flache Hierarchien bedeuten mehr Selbstbestimmung und Flexibilität, können aber auch zu gesundheitlichen Problemen führen. Noémi Swoboda, Leiterin Betrieb & Entwicklung BGM der Gesundheitsförderung Schweiz, beleuchtet das Thema.
Frau Swoboda, was ist unter «New Work» zu verstehen?
Digitalisierungsprozesse, agiles Arbeiten, Homeoffice, flache Hierarchien, Plattformökonomien, Big Data und künstliche Intelligenz prägen derzeit die Unternehmenswelt. Der Begriff «New Work» steht für diese neuen Arbeitsformen im globalen und digitalen Zeitalter. Ursprünglich wurde New Work bereits in den 1970er-Jahren vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann geprägt. Sein Konzept der «neuen Arbeit» betonte Werte wie Freiheit und Selbstständigkeit. Arbeit sollte nicht länger nur Mittel zum Zweck sein, sondern Freude bereiten und Selbstverwirklichung ermöglichen.
Welche Chancen bietet New Work den Arbeitnehmenden?
Die Chancen und Risiken gehen häufig Hand in Hand. Beispielsweise ist die erhöhte Flexibilität bezüglich Arbeitsort und Arbeitszeit positiv für die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Gleichzeitig birgt sie die Gefahr, dass sich die Arbeitnehmenden weniger abgrenzen können. Ob dies zu einer Belastung wird, hängt von der Kultur des Unternehmens sowie von der Person ab: Für manche ist es kein Problem, wenn es zu einer Vermischung von Privatleben und Arbeit kommt, für andere wiederum stellt es ein Problem dar.
Können Sie uns ein weiteres Beispiel für die zwei Seiten der Medaille geben?
Eine weitere Chance von New Work ist die stärkere Autonomie bei der Arbeit, aber auch diese geht mit Risiken einher: Sie kann als Bereicherung, aber auch als Überforderung empfunden werden. Menschen mit einem hohen Grad an Selbstwirksamkeit agieren sehr gut und gerne autonom, andere sind damit überfordert und brauchen mehr Orientierung und Begleitung beim Ausfüllen des Handlungsspielraums.
«Eine einzige Lösung für alle ist in der flexibilisierten Arbeitswelt nicht mehr zielführend.»
Noémi Swoboda, Leiterin Betrieb & Entwicklung BGM Gesundheitsförderung Schweiz

Sie sprechen von Orientierung und Begleitung: Wie sind Arbeitgebende gefordert?
Mit Blick auf die erhöhte Flexibilität sind Kompetenzen gefragt, die es den Arbeitnehmenden erlauben, sich ihren Bedürfnissen entsprechend abzugrenzen. Eine einzige Lösung für alle ist in der flexibilisierten Arbeitswelt nicht mehr zielführend. Arbeitgebende müssen sich auf unterschiedliche Bedürfnisse der Mitarbeitenden einlassen können und gleichzeitig Leitlinien zur Orientierung schaffen. Es ist wichtig, die Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die Entscheidungskompetenzen gemeinsam zu diskutieren und damit den Rahmen für die neuen Arbeitsformen abzustecken.
Welche Ressourcen sind notwendig, damit New Work gelingen kann?
Wichtig ist in jedem Fall die soziale Unterstützung sowie die psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz. Wer sich unterstützt und sicher fühlt, kommuniziert auch eher über Schwierigkeiten, so dass zielführende Lösungen gefunden werden können. Auch Wertschätzung ist wesentlich. Die Herausforderung für Führungskräfte und auch für das Personalmanagement ist es, auch im digitalen Raum den regelmässigen Austausch mit den Mitarbeitenden zu pflegen, selbst wenn man diese nicht so oft sieht.
New Work eignet sich nicht für alle gleichermassen. Welche Gefahren sehen Sie?

Die Entgrenzung von Arbeit und Privatleben, fehlende Rollenklarheit und unklare Entscheidungsspielräume können zu Überlastung und Stress führen. Dasselbe gilt für Aspekte wie die ständige Erreichbarkeit und der Druck, flexibel zu sein. Eine fehlende oder ungenügende soziale Interaktion im Homeoffice kann zu Isolation und Einsamkeit führen. Digitalisierungsprojekte, welche die Mitarbeitenden zu wenig im Rahmen der Gestaltungsphase miteinbeziehen und diese nicht ausreichend in der Anwendung und Zusammenarbeit schulen, können zu starker mentaler Belastung und Überforderung führen. Generell ist der Umgang mit Neuem und Ungewissem eine der zentralen Herausforderungen im New Work, die in direktem Zusammenhang mit der Gesundheit der Beteiligten steht.
Was können Unternehmen tun, um diese negativen Auswirkungen zu reduzieren?
Wir bieten auf unserer Homepage einen Fokus-Finder für gesundes New Work, um Handlungsbedarf und Ansatzpunkte zu identifizieren. Sinnvoll sind beispielsweise Leitlinien und Vereinbarungen für die Erreichbarkeit und Arbeitszeiten im Homeoffice sowie die Präsenzhäufigkeit im Unternehmen, ferner die Schulung von Führungskräften im Umgang mit den unterschiedlichen Herausforderungen und Chancen, die sich durch New Work bieten sowie die Klärung von Rollen und Zuständigkeiten gerade auch in der agilen Zusammenarbeit.
«Generell ist der Umgang mit Neuem und Ungewissem eine der zentralen Herausforderungen im New Work.»
Noémi Swoboda, Leiterin Betrieb & Entwicklung BGM Gesundheitsförderung Schweiz
Gibt es weitere Schritte, die Arbeitgebende tun können?
Unternehmen sollten längerfristig ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) implementieren, damit Massnahmen identifiziert werden können, mit denen die Gesundheit der Mitarbeitenden gezielt und nachhaltig gestärkt und der Unternehmenserfolg gesichert werden kann. Führungskräfte haben eine Schlüsselrolle im BGM. Sie sollten als Vorbilder agieren und eine Kultur fördern, die Gesundheit, Motivation und Wohlbefinden priorisiert. Durch wertschätzende Führung, offene Kommunikation und Unterstützung der Mitarbeitenden können sie dazu beitragen, Stress zu reduzieren und ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen. Das Leadership-Kit von Gesundheitsförderung Schweiz bietet hierzu wertvolle Hilfestellungen.
Was kann ich selbst tun?
- Bedürfnisse kennen: Brauche ich klare Grenzen oder möglichst viel Flexibilität?
- Bedürfnisse mitteilen und entsprechende Vereinbarung mit Vorgesetzten treffen
- Austausch mit anderen suchen und von deren Erfahrungen profitieren
- Gemeinsam im Team Lösungen für Herausforderungen suchen
- Soziale Kontakte auch im Homeoffice pflegen
- Realistische Ziele setzen
- Meetingfreie Zeit einplanen
- Pausen nicht vergessen
Gesundheitsförderung Schweiz
Veränderungen in Entscheidungsprozessen und Organisationsstrukturen sowie die zunehmende Bedeutung digitaler Kompetenzen stellen Unternehmen und Mitarbeitende gleichermassen vor neue Herausforderungen. Gesundheitsförderung Schweiz untersucht die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die psychische Gesundheit der Arbeitnehmenden und entwickelt darauf abgestützte Handlungsempfehlungen.