Junge Frauen und psychische Gesundheit: Es tut gut, offen darüber zu reden

05. September 2025 | Kommentar(e) |

Adrien Jacquérioz

Die psychische Gesundheit junger Schweizer, insbesondere von Frauen, verschlechtert sich. Und Selbstmord, eng mit dieser Problematik verbunden, ist und bleibt ein Tabuthema. Anna Margolfo, Psychologin und freiwillige Helferin im Verein STOP SUICIDE, erzählt von ihren Erfahrungen und was sie daraus gelernt hat.

Anna, danke, dass du uns deine Geschichte erzählst. Wann hast du realisiert, dass etwas nicht stimmt?

Ich hatte meine erste Krise, als ich 15 Jahre alt war. Die Gründe dafür waren vielschichtig: Mein Gefühlsleben, in das ich meine ganze Energie steckte, meine Schulsituation und meine Beziehung zu Familie und Freunden. Ich zog mich zurück und glaubte, dass mich alle hassten.

Es wurde besser, als ich 17-jährig war, doch die Situation verschlimmerte sich wieder mit 20 bis 22 Jahren. Mein Unwohlsein äusserte sich vor allem in ängstlich-depressiven Anfällen und Selbstmordgedanken. Ich ass kaum, verbrachte viel Zeit im Bett und schaute nicht zu mir. Damals gab es noch nicht so viele Präventionsmassnahmen im Bereich der psychischen Gesundheit, und die Gesellschaft war weniger gut informiert.

Was hast du als Erstes unternommen, um dich besser zu fühlen?

Bei meiner zweiten Krise habe ich alle schädlichen Beziehungen gekappt und nur jene aufrechterhalten, die mir guttaten. Damit konnte ich mich besser auf meinen Körper und meine psychische Gesundheit konzentrieren. Ich war auch bei verschiedenen Psychologen, bis ich den passenden für mich gefunden habe. Die Psychotherapie war enorm wichtig für meine Genesung.

Welche Änderungen würdest du dir in der Arbeitswelt wünschen?

Was hat dir besonders geholfen?

Neben der Psychotherapie konnte ich auf die Unterstützung meiner besten Freundin zählen, die Psychologin und ebenfalls betroffen ist. Spaziergänge in der Natur, die Verbindung zu mir selbst und kleinere Dinge wie Malen, Lesen oder Körperpflege haben mir sehr gutgetan. Auch die Zeit mit meiner Katze lässt mich entspannen.

Und war gab schliesslich den Ausschlag?

Ich fand einen Therapeuten, der zu mir passte und zu dem ich nach wie vor gehe. Es ist nicht einfach, jemanden zu finden, der einem hilft. Dass meine Familie mein Unwohlsein eines Tages erkannt hat, hat mir ebenfalls geholfen, den Weg der Heilung einzuschlagen.

"Mein Unwohlsein äusserte sich vor allem in ängstlich-depressiven Anfällen und Selbstmordgedanken. Ich ass kaum, verbrachte viel Zeit im Bett und schaute nicht zu mir. Damals gab es noch nicht so viele Präventionsmassnahmen im Bereich der psychischen Gesundheit, und die Gesellschaft war weniger gut informiert."

Wie siehst du heute die Problematik der psychischen Gesundheit und des Suizids?

Psychische Gesundheit und insbesondere Suizid sind heute weniger Tabuthemen. Die Statistiken zeigen jedoch, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Glücklicherweise werden die Prävention und die Begleitung immer besser, und es stehen mehr Ressourcen zur Verfügung. Es geht in die richtige Richtung, vor allem, was die Jungen angeht.

Warum sind deiner Meinung nach Frauen stärker betroffen?

Ich denke, Frauen sind aufgrund ihrer Rolle in der Gesellschaft stärker betroffen, dass es also ein gesellschaftliches Problem ist. Sie sind stärker exponiert, fühlen sich eher betroffen und engagieren sich umso leichter.

Welche Tipps gibst du Leuten, die das Gleiche durchmachen wie du damals?

Bewusst Einsamkeit verhindern und sich trauen, mit Menschen, die ein offenes Ohr haben und zu denen man Vertrauen hat, darüber zu sprechen. Auch wenn es schwierig ist und nicht von Anfang klappt, muss man am Ball bleiben und um Hilfe bitten, ob im eigenen Umfeld oder von Fachpersonen. Zudem ist es wichtig, sich um seine Gesundheit zu kümmern, die körperliche und die geistige. Und nicht vergessen: Man ist nicht allein. Viele Menschen machen das Gleiche durch und schaffen es dank Unterstützung!

"Psychische Gesundheit und insbesondere Suizid sind heute weniger Tabuthemen. Es geht in die richtige Richtung, vor allem, was die Jungen angeht. Und nicht vergessen: Man ist nicht allein. Viele Menschen machen das Gleiche durch und schaffen es dank Unterstützung!"

Was hast du im Umgang mit der Krankheit gelernt?

Ich habe gelernt, mich selbst zu respektieren, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen, und mehr an mich zu denken, an meinen Körper und meine psychische Gesundheit.

Wie geht es dir heute?

Ich konnte auf eine gute Begleitung zählen, meine Sichtweise hat sich verändert und heute geht es mir besser. Wenn ich wieder Schwierigkeiten habe, stehen mir nun die nötigen Ressourcen zur Verfügung und ich weiss, an wen ich mich wenden kann, um einen Ausweg zu finden und dieselben Fehler nicht noch einmal zu machen.

Welche Änderungen würdest du dir in der Arbeitswelt wünschen?

Warum hast du dich als Freiwillige bei STOP SUICIDE gemeldet?

Ich hatte schon immer eine aktivistische Ader und habe eine sich bietende Gelegenheit genutzt, um mich im Verein STOP SUICIDE zu engagieren. Selbstmord ist ein Thema, das eng mit der psychischen Gesundheit verbunden ist, es ist sozusagen der Höhepunkt. In meiner Tätigkeit als Freiwillige kann ich auf das Problem von Suizid aufmerksam machen, Strategien vermitteln und auf zur Verfügung stehende Ressourcen hinweisen. Mittlerweile bin ich selbst Psychologin und habe ein besseres Verständnis für die Thematik, sodass ich nun meinerseits anderen helfen kann.

"In meiner Tätigkeit als Freiwillige kann ich auf das Problem von Suizid aufmerksam machen, Strategien vermitteln und auf zur Verfügung stehende Ressourcen hinweisen."

Hast du ein Mantra oder ein Ritual, das dir im Alltag hilft?

Mein Ding ist Lavendel, das entspannt mich. Ich versuche auch, einen möglichst gesunden Lebensstil zu führen, vor allem was Ernährung, Bewegung und Schlaf angeht. Ausserdem verbringe ich möglichst viel Zeit mit Menschen, die mir guttun und mir wichtig sind. Meine beste Freundin und Mitbewohnerin ist ebenfalls Psychologin, sodass wir uns rege über das Thema austauschen können.

Psychische Gesundheit und Selbstmord – besorgniserregende Zahlen

  • In der Schweiz ist Selbstmord die häufigste Todesursache bei den 15- bis 29-Jährigen.
  • Junge Frauen sind besonders häufig von psychischen Problemen betroffen.
  • 2022 hatten 23,1 Prozent der 15- bis 19-jährigen Mädchen Selbstmordgedanken.
  • Bei Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren litten 25 Prozent an starken Angststörungen, 30 Prozent hatten akute depressive Phasen und 29 Prozent Anzeichen einer sozialen Phobie.
Die Organisation STOP SUICIDE arbeitet seit 25 Jahren daran, Tabus zu brechen, Vorurteile aus dem Weg zu räumen und den Jungen die verfügbaren Ressourcen näherzubringen. Mit Kampagnen, Workshops und Ausbildungen informiert, unterstützt und begleitet sie betroffene Menschen.

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Kommunikationsbeauftragter

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