Was tun gegen Über- und Fehlversorgung?

27. Oktober 2021 | Kommentar(e) |

Miriam Gurtner

Die eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) bemängelt die fehlende Kontrolle von erbrachten medizinischen Leistungen und stellt fest, dass in der Schweiz viel mehr Operationen stattfinden als in anderen Ländern. Dies führt zu hohen Kosten im Schweizer Gesundheitswesen. Doch was wären die richtigen Hebel um die Über- und Fehlversorgung anzugehen?

Nichts ist teurer und gefährlicher als unnötige Operationen. Die EFK hat anhand von drei chirurgischen Leistungen überprüft, ob es finanzielle Anreize gibt, Leistungen über das notwendige Mass hinaus zu erbringen, und ob diese Anreize gut kontrolliert werden. Dabei ging es um die elektive Angioplastie (Stenting), die Prostataentfernung und die Kyphoplastie / Vertebroplastie bei Wirbelkompressionen. Die Zahlen zeigen einen deutlichen Anstieg der Eingriffe bei allen drei Behandlungen. 2017 beliefen sich die Kosten für diese Eingriffe an rund 20 000 Patienten auf fast 250 Millionen Franken. Im Vergleich zu ähnlichen Ländern weist die Schweiz generell eine hohe Anzahl Operationen auf. Ausserdem bestehen grosse kantonale Unterschiede bei der Anzahl Interventionen. Doch wie kann die Notwendigkeit eines Eingriffs besser beurteilt werden?

Fehlende Kontrolle der Indikationsqualität

Ein Punkt, bei dem die EFK ansetzen möchte, ist die Indikationsqualität, also die Angemessenheit der medizinischen Leistungen. Doch wer kann heute beurteilen, ob eine Operation wirklich notwendig ist oder nicht? Im Moment obliegt die Überprüfung der medizinischen Indikationen einzig und allein dem medizinischen Fachpersonal sowie den Kantonen, die den Spitälern zwar Verfahren vorschreiben, um die Qualität zu garantieren, den Einzelfall aber ebenfalls nicht prüfen.

Den Krankenversicherungen bleibt nur die Kontrolle der Rechnungen und damit der Wirtschaftlichkeit. Die Groupe Mutuel konnte 2020 mit einer sorgfältigen Rechnungskontrolle 564 Millionen Franken einsparen. Doch bei der Kontrolle der Indikation und somit der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit der Leistungen sind uns de facto die Hände gebunden.

Dazu müssten die Ärzte den Versicherern bei ambulanten Behandlungen die Diagnosen mitteilen, wie es bereits bei stationären Eingriffen der Fall ist. Auch bräuchten die Kassen Angaben über die Notwendigkeit eines Eingriffs. Beispielsweise müssten die Ärzte angeben, ob es eine Knieoperation brauche oder ob eine Physiotherapie genügen würde. Heute sehen Versicherer erst, welche Leistungen vorgenommen werden, wenn die Rechnung gestellt wird. Teure Operationen finden also ohne Einbezug der Krankenversicherung statt. Ein nachträgliches Rügen der Versicherung bringt wenig, denn die Kosten sind ja bereits entstanden. Ein weiterer wichtiger Punkt, der die Indikationsqualität massgeblich mitbestimmt, ist der Einbezug der Patienten. Vor allem sie können den tatsächlichen Nutzen einer Leistung bewerten. Dazu gibt es bereits heute standardisierte Indikatoren wie PROMs (Patient-reported outcome measures). Diese müssen standardmässig erhoben und in die Entscheidung miteinbezogen werden.

Indikationsqualität als Schlüssel gegen Über- und Fehlversorgung

Eine Erhöhung der Qualität – vor allem wenn es sich um Indikations- und Ergebnisqualität handelt – kann also massgeblich zu einer Senkung der Gesundheitskosten beitragen. Nach dem Motto: Das Richtige soll richtig gemacht werden.  

Nur wenn die Indikations- und die Ergebnisqualität verstärkt berücksichtigt werden und diesbezüglich die richtigen Anreize geschaffen werden – u.a. auch im Bereich der Vergütung – kann die Über- und Fehlversorgung, die laut Schätzungen 20-30% der Behandlungen betrifft, im Gesundheitswesen auch wirksam angegangen werden.

Die Verbesserung der Indikationsqualität wäre also ein echter Win-Win-Faktor sowohl für den Patienten, als auch die Prämienzahler. Die Krankenversicherer sind gewillt hier ihre Verantwortung zu übernehmen.

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Leiterin Public Affairs, Generalsekretariat

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