VBHC: eine leistungsbezogene Vergütung für unser Gesundheitssystem

02. Februar 2021 | Kommentar(e) |

Claire Galesne

Die Value-Based Healthcare (VBHC – leistungsorientierte Gesundheitsversorgung) ist in der Schweiz noch wenig bekannt, hat sich aber in den USA und Schweden bereits bewährt. Diese Organisationsform des Gesundheitswesens hat zum Ziel, die Behandlungsergebnisse zu verbessern – und nicht, so viele Behandlungen wie möglich zu erbringen. Dies erfolgt unter anderem durch eine stärkere Einbindung der Patientinnen und Patienten in den Behandlungsprozess sowie den Übergang zu einem Vergütungssystem, das auf der Qualität der Gesundheitsversorgung basiert und nicht auf deren Quantität. Kleine Revolution oder grosse Veränderung – die Idee, in unserem Gesundheitssystem eine leistungsbezogene Vergütung einzuführen, ist weniger ein utopischer Zukunftsgedanke als vielmehr eine Notwendigkeit der Gegenwart. Kosten und Qualität stehen im Zentrum der beiden laufenden KVG-Revisionen. Weshalb sollte man da nicht über ein ganzheitliches Konzept für diese beiden zentralen Themen des Gesundheitssystems nachdenken?

Heute basiert das Schweizer Gesundheitssystem auf dem Behandlungsvolumen: Die Leistungserbringer werden entsprechend der Anzahl erbrachter medizinischer Leistungen vergütet. Unser Gesundheitssystem mit Value-Based Healthcare neu zu denken, würde bedeuten, alle Akteure des Gesundheitssystems dazu anzuhalten, sich auf die Qualität der Behandlungen zu konzentrieren und nicht auf deren Quantität. Diese Qualität wird durch das Messen und Vergüten von Leistung erreicht. Eine Vergütung, die sich an der Qualität und an den Behandlungsergebnissen orientiert – insbesondere aus der Perspektive der Patientinnen und Patienten –, würde den Fachkräften des Gesundheitswesens einen Anreiz bieten, die Qualität der Versorgung zu verbessern.

Ein messbarer Nutzen

Value-Based Healthcare steht für ein Gesundheitssystem, das sich an Leistungswerten orientiert, insbesondere am Nutzen aus Patientensicht. Die Herausforderung bei der Diskussion über die Value-Based Healthcare ist demnach die Messung und Vergütung dieses Nutzens. Eine der Lösungen dafür sind Pay-for-Performance-Systeme (leistungsbasierte Vergütung), was einer Art Leistungsentlöhnung entspricht: eine fixe Basis mit einem variablen Anteil (Malus/Bonus) in Abhängigkeit von den erzielten Ergebnissen. Um diese Ergebnisse zu messen, verfügt das leistungsorientierte Gesundheitssystem über Instrumente wie PROMs (patient-reported outcome measures) und PREMs (patient-reported experience measures).

Dabei handelt es sich um Fragebögen, die die Meinung der Patientinnen und Patienten zu verschiedenen Aspekten der Behandlung erfassen:

  • klinische Ergebnisse
  • Folgen und mögliche Komplikationen
  • persönliche Wahrnehmung und Gefühl

Den Patientinnen und Patienten eine Stimme zu geben und die Akteure im Gesundheitswesen zu einem Teil abhängig von der Qualität und Wirksamkeit der Behandlung zu vergüten, bedeutet, die Leistungserbringer für ihre qualitativ hochwertige Versorgung zu honorieren, anstatt sie dazu zu ermutigen, sich für eine Quantität zu entscheiden, die bisweilen schwer zu rechtfertigen ist.

Die Qualität der medizinischen Indikation verbessern

Mit einem Vergütungssystem, das aus Patientensicht ergebnisorientiert ist, erhält die Wahl der am besten geeigneten Behandlung auch aus Sicht der medizinischen Leistungserbringer eine ganz neue Bedeutung. Wir alle sind unterschiedlich, und es gilt eine Vielzahl von Parametern zu berücksichtigen. Im Rahmen eines leistungsbezogenen Vergütungssystems werden die Ergebnisse einer Behandlung für verschiedene Patientengruppen gemessen. Die Analyse und Auswertung dieser Ergebnisse durch Ärztinnen und Ärzte sowie Forschende soll anschliessend darlegen, für welche Patientengruppen die Behandlung am wirksamsten ist. Entsprechend kann die Qualität der medizinischen Indikation optimiert werden, indem Patientinnen und Patienten stärker miteinbezogen werden.

Value-Based Healthcare: Utopischer Zukunftsgedanke oder Notwendigkeit der Gegenwart?

Ein neues Vergütungssystem, eine Überprüfung der Qualität der Gesundheitsversorgung, eine stärkere Einbindung der Patientinnen und Patienten – ist die Forderung nach so vielen Veränderungen nicht unrealistisch? Nein, denn einige Länder haben diesen Weg bereits erfolgreich eingeschlagen, und auch in der Schweiz entstehen die ersten Grundpfeiler, auf denen ein solches System aufbauen könnte.

In Schweden beispielsweise, einem Pionier im Bereich der Value-Based Healthcare, hat die Provinz Stockholm eine Pauschale pro Behandlungsepisode für Hüft- und Kniegelenkersatzoperationen entwickelt. Ein Teil der Rückvergütung (3,2%) dieser Pauschale wird nur bezahlt, wenn die im Voraus festgelegten Ergebnisse erzielt wurden. Durch die Einführung dieses Modells konnten nicht nur die Komplikations- und die Revisionsrate gesenkt werden, sondern auch die Kosten.

Hierzulande gibt es Initiativen, die bereits in die Richtung einer stärkeren Berücksichtigung der Behandlungsqualität gehen, insbesondere aus Patientensicht. Das Universitätsspital Basel misst schon seit mehreren Jahren die PROMs, besonders in der Brustkrebsbehandlung. Die Teilrevision des KVG und der KVV zur Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit verfolgt nun unter anderem das Ziel, Qualitätsverträge obligatorisch zu machen. Diese Verträge sehen Qualitätsmessungen, Massnahmen für die Qualitätsentwicklung sowie deren Überprüfung und die Möglichkeit von Sanktionen bei Verletzung des Vertrags vor. Wie im erläuternden Bericht präzisiert wird, liegt der Fokus also nicht einfach nur auf der Einhaltung der Mindestanforderungen in Bezug auf die Qualität, sondern auch auf der Qualitätsverbesserung aus der Leistungsperspektive.

Die leistungsorientierte Vergütung, PROMs und PREMs sind also kein utopischer Zukunftsgedanke, sondern die Grundpfeiler, auf denen unser Gesundheitssystem von morgen aufgebaut werden muss, wenn es seine Nachhaltigkeit, seine Fähigkeit, sich selbst zu finanzieren, sowie seine Qualität und Wirksamkeit in der heutigen Zeit erhalten soll.

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Claire Galesne

Generalsekretariat, Bereich Gesundheitsökonomie

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