Das Programm zur Bewertung von Gesundheitstechnologien

06. Oktober 2020 | Kommentar(e) |

Claire Galesne

Durch die Bewertung von Gesundheitstechnologien (Health Technology Assessments, HTA) könnten jedes Jahr 220 Millionen Franken eingespart werden. Dieses Programm wurde 2013 vom BAG lanciert, um obsolete Leistungen zu identifizieren, zu bewerten und wenn nötig aus dem Leistungskatalog zu entfernen. Bis heute wurden jedoch noch keine Einsparungen erzielt. Befassen wir uns also mit diesem wichtigen Programm für die Versorgungsqualität und die Kostenkontrolle sowie mit den zu treffenden Massnahmen, um endlich davon zu profitieren.

Die Bewertung von Gesundheitstechnologien

Die Coronavirus-Pandemie hat es gezeigt: Was heute in Bezug auf wissenschaftliche Kenntnisse und medizinische Behandlungen gilt, kann morgen schon überholt sein.

Die Fortschritte der biomedizinischen Forschung erlauben es nicht nur, innovative Lösungen zu entwickeln, um bessere Behandlungsmöglichkeiten anbieten zu können oder bisher nicht heilbare Erkrankungen zu therapieren, sondern auch, die Wirksamkeit von bis anhin empfohlenen Behandlungen infrage zu stellen. Ein gutes Beispiel ist die Forschung über Alzheimer: Die Pharmaunternehmen suchen nach neuen Medikamenten gegen diese Erkrankung, und gleichzeitig äussern Ärzte und Forscher Zweifel an der Wirksamkeit gewisser bestehender Behandlungen. Die Herausforderung besteht also darin, den Patienten Zugang zu innovativen Behandlungsmöglichkeiten zu geben und gleichzeitig zu verhindern, dass ihnen unangemessene oder sogar kontraproduktive Therapien verschrieben werden.

Ein wichtiges Hilfsmittel dabei ist das «Health Technology Assessment (HTA)» HTA ist ein international anerkannter Prozess, mit dem die klinische Wirksamkeit und die wirtschaftlichen Folgen von Medikamenten und medizinischen Leistungen systematisch bewertet werden, um davon ausgehend die politischen Entscheidungen über die Rückerstattung zu treffen. Entsprechend dient das Programm der Versorgungsqualität und der Kostenkontrolle im Gesundheitswesen. Mit diesem Ziel hat der Bundesrat die Einführung eines HTA-Programms im Rahmen der 2013 veröffentlichten umfassenden Strategie Gesundheit2020 unterstützt.

Das HTA-Programm des BAG: Modell und Versprechen

Das Ziel des HTA-Programms ist Desinvestition. Dabei sollen ineffiziente, unangemessene sowie nicht wirtschaftliche Leistungen von der Vergütung im Rahmen des Leistungskatalogs der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) ausgeschlossen oder die Vergütungspflicht eingeschränkt werden (Art. 32 KVG).

Was kann ich als Patient oder als Arzt tun, damit sich das BAG, das für das HTA-Programm zuständig ist, mit dem Medikament gegen Alzheimer beschäftigt, das meiner Meinung nach das Fortschreiten der Krankheit nicht aufhält?

Es ist eigentlich ziemlich einfach: Man muss nur ein Formular auf der Website des BAG ausfüllen und die Gründe angeben, wieso man das Medikament für obsolet hält. Jedes Jahr analysiert und priorisiert das BAG die vorgeschlagenen Themen und konsultiert die betroffenen Akteure (FMH, Versicherungsverbände, Patientenorganisationen, eidgenössische Kommissionen), die diese Themen ebenfalls bewerten und priorisieren, bevor das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) die Themen auswählt, die einem HTA unterzogen werden. Das Thema Medikamente gegen Alzheimer hat diese ersten zwei Etappen bereits hinter sich, was aber nur der Anfang eines langen Prozesses ist.

Sobald ein Thema ausgewählt ist, gibt das BAG bei einem Forschungsinstitut eine Vorstudie in Auftrag, um die Forschungsfragen und die Bewertungsmethodik zu bestimmen. Bei den Medikamenten gegen Alzheimer beispielsweise geht es in der Vorstudie vermutlich darum, die für die Wirksamkeit der Medikamente relevanten Indikatoren festzulegen: das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit, die Selbstständigkeit? Nach der Konsultation der Vertreter der betroffenen Bereiche kann das Forschungsinstitut mit der Bewertung beginnen, in der es hauptsächlich um die Wirksamkeit und die klinische Sicherheit, das Preis-Leistungs-Verhältnis und die finanziellen Auswirkungen (Kosten für das Gesundheitssystem) der Behandlung geht.

Auf der Grundlage der Bewertung gibt die für die beurteilte Technologie zuständige eidgenössische Kommission Empfehlungen in Bezug auf die Rückerstattung ab. Schliesslich entscheidet das EDI, oder bei Medikamenten das BAG, die Leistungspflicht aufzuheben, einzuschränken oder fortzusetzen. Wenn entschieden wird, die Medikamente gegen Alzheimer aus dem Leistungskatalog zu entfernen, würde dies zu einer jährlichen Einsparung von ungefähr 20 Millionen Franken für die Allgemeinheit führen.

Wenn Versprechen an der Realität zerbrechen

Bevor man sich aber für die OKP-Krankenkassen freuen darf, muss geprüft werden, welche konkreten Ergebnisse das HTA-Programm bisher erzielt hat. Die eidgenössische Finanzkontrolle hat diesen Sommer eine Prüfung des Programms veröffentlicht. Und das Urteil ist deutlich: 2013 schienen jährlich wiederkehrende Einsparungen von 220 Millionen Franken durch das HTA-Programm möglich, bis heute wurde aber nichts davon realisiert.

Wie lassen sich diese Ergebnisse erklären?

  • Zu Beginn gab es bei der Einrichtung des HTA-Programms Verzögerungen.
  • Pro Jahr werden zu wenige HTA umgesetzt. 46 HTA waren für die Zeit zwischen 2017 und 2019 vorgesehen, es liefen aber nur 21. Neben der Verzögerung beim Start des Programms hängt das Ergebnis auch mit der zu langen Dauer des Prozesses zusammen. Ungefähr drei bis vier Jahre sind nötig, um ein vollständiges HTA von der Themenwahl bis zur Entscheidung durchzuführen. Die Medikamente gegen Alzheimer sind ein gutes Beispiel: Das Thema wurde 2018 vorgeschlagen, im August 2019 ausgewählt und die Vorstudie ist immer noch nicht veröffentlicht. Die Eidgenössische Finanzkontrolle kritisiert auch, dass die Auftragnehmer, welche die Studien durchführen, begrenzte Kapazitäten haben und zu wenig Themen vorgeschlagen werden.
  • Von den zwei durch die Eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen beurteilten HTA führte keines zur Streichung oder Limitierung bei der Rückerstattung.

Wie kann wirklich vom HTA-Programm profitiert werden?

  • Das HTA-Programm des BAG stärken und weiterentwickeln.
    Wie? Die Ressourcen des Programms erhöhen und ein Netzwerk von Forschungsinstituten entwickeln, um die Evaluationen durchzuführen.
    Warum? Um mehr HTA pro Jahr durchzuführen, wodurch das Einsparpotenzial erhöht werden könnte.
  • Im Ausland durchgeführte HTA nutzen, um die Dauer des Prozesses zu verkürzen.
    Wie? Bei den Bewertungs- und Entscheidungsphasen im Ausland durchgeführte Vorstudien und Evaluationen zur gleichen Behandlung nutzen und unter Berücksichtigung des spezifischen Schweizer Kontexts ergänzen (zum Beispiel Preisunterschiede bei den Medikamenten und gesetzliche Vorschriften). Beispielsweise wurden in England und Frankreich bereits HTA für Medikamente gegen Alzheimer durchgeführt.
    Warum? Die Dauer des Prozesses verkürzen.
  • Die Bewertungs- und Entscheidungsphasen kürzer und transparenter gestalten.
    Wie? Die Zeit zwischen der Veröffentlichung des Bewertungsberichts und der Entscheidung verkürzen; die Kriterien veröffentlichen, auf deren Grundlage eine Leistung erstattet wird oder nicht.
    Warum? Die Dauer des Prozesses verkürzen und das Einsparpotenzial erhöhen.

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Generalsekretariat, Bereich Gesundheitsökonomie

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