Die Nutzung von Reserven: Sache der Politik?

29. November 2022 | Kommentar(e) |

Geneviève Aguirre-Jan

Die steigenden Prämien sowie die gute Finanzlage der Versicherer wecken das Interesse der Politik eine «automatische» Rückzahlung der Reserven einzuführen. Eine gute Idee?

In der Politik werden momentan Stimmen laut, die den Versicherern vorgeben möchten, zu welchem Zeitpunkt ihre Reserven rückerstattet werden sollen. Grund dafür sei eine unverhältnismässige Ansammlung von Reserven durch die Versicherer. Die Prämienlast der Versicherten soll dabei durch die automatische Verwendung der Reserven verringert werden, sobald diese Reserven eine festgelegte Obergrenze überschreiten.

Mehrere Aspekte dieses Vorschlags bergen Risiken. Ein Überblick.

Was sagt das Gesetz zu den Reserven?

Die Reserven ermöglichen es den Krankenversicherern, mittel- und langfristig die gesetzlich erforderliche Solvenzquote von 100% einzuhalten. Der Gesetzgeber setzt deshalb einen strengen Rahmen für die Nutzung von Reserven, und die Krankenversicherer haben nur eingeschränkten Handlungsspielraum. Die Reserven tragen also zur Stabilität des Finanzsystems der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei. Fällt die Solvenz unter 100%, muss der Versicherer neue Reserven bilden, indem er den Versicherten eine Zusatzprämie in Rechnung stellt.

Die Reserven – eine langfristige Lösung zur Steuerung der Prämien

Die Reserven werden vollumfänglich durch Prämienüberschüsse und allfällige Erträge aus den streng reglementierten Finanzanlagen gebildet.

Jedes Jahr im Herbst geben die Krankenversicherer die Prämien für das Folgejahr bekannt. Diese werden auf der Grundlage von versicherungstechnischen Schätzungen berechnet. Deshalb besteht dabei immer ein Risiko, ob sie die Gesundheitskosten des Folgejahres decken können. Das Bundesamt für Gesundheit stellt in seiner Funktion als Aufsichtsbehörde sicher, dass realistische Prämien festgelegt werden. Es genehmigt keine Prämien, die zu hohe Überschüsse erzeugen würden.

Fallen die Versicherungskosten tiefer als vorgesehen aus, fliesst der Prämienüberschuss in die Reserven, ausser wenn der Versicherer entscheidet, sie sofort an die Versicherten zurückzuzahlen – wie dies die Groupe Mutuel im Jahr 2020 mit 101 Millionen Franken getan hat. 

Die Höhe der Reserven hängt folglich von der Entwicklung der Gesundheitskosten und jener der Finanzmärkte ab.

Die Reserven – ein Polster für Unvorhergesehenes

Liegen die Kosten über den eingenommenen Prämien, sind die Versicherten dank der Reserven vor Prämienerhöhungen geschützt, die durch diese Finanzierungslücke entstehen könnten. Die Reserven sind mit dem Sparguthaben eines Haushalts vergleichbar, der unvorhergesehene Kosten bezahlen muss.

Zum 1. Januar 2021 lag die Solvenzquote der Versicherer bei 207%, per 1. Januar 2022 noch bei 163%.

Reserven – so wie die Quellen, aus denen sie stammen – schwanken und können die Versicherten nur kurzfristig vor einem Prämienanstieg schützen.

Eine Stabilisierung der Versicherungsprämien kann nur über eine Kontrolle der Gesundheitskosten erreicht werden. Die regelmässige Rückverteilung der Reserven ist keine langfristige Lösung. 

Freiwillige Rückverteilung

Das soziale Krankenversicherungssystem ist so konzipiert, dass eine Konkurrenz zwischen den Krankenversicherern entsteht. Dies mit dem Ziel, dass die Prämien so günstig wie möglich ausfallen. Somit liegt es an den Krankenversicherern, ihr kurz-, mittel- und langfristiges Risiko festzulegen.

In diesem Kontext kann die Krankenversicherung auch eine freiwillige, von den Aufsichtsbehörden überwachte Rückzahlung der Reserven an die Versicherten vornehmen. Diese Möglichkeit wurde von den Versicherern bereits genutzt, insbesondere von der Groupe Mutuel, die im Jahr 2022 111 Millionen Franken aus ihren Reserven an ihre Versicherten zurückzahlte.

Fazit

  • Das derzeitige System sieht klar vor, dass die Reserven den Versicherten gehören und zu ihrem Nutzen verwendet werden. 
  • Politische Eingriffe in die Verwendung der Reserven bringen den Versicherten keinen zusätzlichen Nutzen und könnten langfristig die Solvenz der Krankenversicherer oder sogar die Stabilität des Systems der sozialen Krankenversicherung gefährden.
  • Die Verwendung der Reserven ist vor allem Sache der Krankenversicherer, unter der Kontrolle der Aufsichtsbehörden.

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Generalsekretariat, Bereich Gesetzgebung

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